von Mariella Scheer
Neulich habe ich das Sammelsurium der Lesezeichen in meinem Internet-Browser geordnet und versucht, eine in Ansätzen systematische Ordnerstruktur anzulegen, in der ich nun (be-)merkenswerte Artikel aus dem Netz ablegen kann. Diese Ordner heißen zum Beispiel „Trump“, „Fake News“ und „Neue Rechte“. Ich bekomme eigentlich schon schlechte Laune, wenn ich die jeweiligen Schlagzeilen überfliege. Täglich landen Fundstücke in diesen Ordnern. Die meisten habe ich dann bereits gelesen. Manchmal verschiebe ich einen Artikel aber auch direkt in den Ordner, wenn ich nicht die Kraft habe, mich noch weiter, noch tiefgreifender, noch eingehender mit einem tagesaktuellen Thema zu beschäftigen, das mich frustiert. Aber ich tue das nur, um die Lektüre am nächsten Tag nachzuholen, damit ich gut informiert bleibe.
„10 Millionen Deutsche trinken zu viel Alkohol!“
Was ist mit den anderen 70 Millionen? Schauen die keine Nachrichten und lesen nie Zeitung?
— Dr. Sigmund Dicht (@Dr_Dicht) 13. Februar 2017
„My desire to be well-informed is currently at odds with my desire to stay sane,“ so lautet die Bildunterschrift eines Cartoons von David Sipress, das nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten viral ging, obwohl es schon einige Jahre alt ist. In diesem erhellenden Artikel kommentiert der Künstler sein Werk. Dabei zeichnet er einen Konflikt nach, der nicht zuletzt auch politischen Bildner*innen bekannt sein dürfte. Auf der einen Seite steht dabei die berufliche Notwendigkeit, das politische Tagesgeschehen zu verfolgen und zu durchdringen – sei es deswegen, weil man einen Cartoon dazu zeichnen soll oder deswegen, weil man es im Rahmen außerschulischer Bildungsangebote aufbereiten will. Auf der anderen Seite gehen einem die Nachrichten so nahe, dass das Informationsgebot das persönliche Wohlbefinden angreift. David Sipress ist dem schließlich mit einem selbst auferlegten Nachrichtenverbot nach 19 Uhr begegnet.
Eine vollständige Abstinenz von Nachrichten kann nicht die Lösung für dieses Problem sein. In einer Zeit, in der sich die politischen Machtgefüge wandeln, ist die Besinnung auf Möglichkeiten zur demokratischen Teilhabe für jede*n Bürger*in unverzichtbar – und dafür muss man darüber Bescheid wissen, was in der Politik geschieht. Meinungsbildung erfordert Information. Die Frage nach dem Maß ist dabei aber nicht zu verachten. Nicht alles, was das Internet ausspuckt, hat einen Mehrwert. Leider kann man nicht immer auf den ersten Blick erkennen, was sich zu lesen lohnt.
Muss man zum Beispiel Donald Trump auf twitter folgen? Ich weigere mich bisher aus Prinzip, aber ich gehe dennoch regelmäßig die Tweets durch, die der amerikanische Präsident dort schreibt. Um Politik geht es meist nur sekundär – Befindlichkeiten sind Trumps Lieblingsthema. Meistens lese ich mich trotzdem fest, und zwar in den Reaktionen. Es beruhigt mich, zu sehen, dass es hier wenig Zuspruch für Trump gibt und dafür eine Menge kritischer Stimmen. In Onlinepräsenzen großer deutscher Zeitungen ist es oft umgekehrt: Da zeigen sich in den Kommentaren zu den Artikeln die Abgründe populistischer Pöbelei. Das Bedürfnis ist groß, sogleich das Browserfenster zu schließen, wenn man dort landet. Ach, du liebe Filterblase. Muss man sich diesen Meinungen nicht ebenso aussetzen, wenn man einen umfassenden Eindruck der politischen Landschaft gewinnen will? Muss man nicht gerade dort mit kommentieren, Haltung zeigen, die Stirn bieten – gerade als politische*r Bildner*in, auch nach Feierabend?
Wir – und damit meine ich nun nicht ausschließlich meinen Berufsstand – stehen täglich vor der Herausforderung, informiert zu sein und dennoch bei Verstand zu bleiben. Der Ausflug in die Debatten auf Twitter, Facebook oder in die Kommentarsektion der Zeitung des Vertrauens ist womöglich noch am leichtesten zu vermeiden. Schließlich ist das, was so ein Zeitungsartikel sachlich und faktenbasiert aufbereitet, mitunter schwer genug zu ertragen. Der Blick in diese Argumentationswelten ist aber doch nicht ohne Wert. Nur in der Konfrontation mit bestimmten Anschuldigungen stellt man sich schließlich überhaupt die Frage, wie man sie argumentativ widerlegen kann. Und wer weiß schon, wann einem das außerhalb der Anonymität des Internets zugute kommen kann.
Mariella Scheer ist wissenschaftlich-pädagogische Mitarbeiterin im GESW.