Dr. Zbigniew Wilkiewicz
Die Unverfrorenheit der russischen Staatspropaganda ist geradezu legendär. Die russischen Staatssender sowie die Programme von „Russia Today“ bauen im Westen Europas eine alternative „Faktenwelt“ auf, die einer irrwitzigen Fabelwelt gleichkommt. Propagandalüge reiht sich an Propagandalüge, der Westen wird verunglimpft, den USA und der NATO werden geradezu absurde Absichten unterstellt, die von der Vernichtung der Russischen Föderation bis hin zur Vernichtung der russischen Kultur reichen. Die Verunglimpfung der Ukraine hat seit Putins Amtsantritt ständig zugenommen. Besonders die Hinwendung des Landes nach Westen, während der orangen Revolution (2004) und während der Maidan-Unruhen (2013), die mit der Flucht des prorussischen Ex-Präsidenten und Wahlfälschers Janukowytsch nach Moskau endeten, sorgten dafür, dass die Kremlpropaganda intensiviert wurde, um so die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Ausrufung der sog. Volksrepubliken Luhansk und Donezk zu begründen.
Während des über acht Jahre anhaltenden Kriegs an der ukrainischen Ostgrenze, der am 24. Februar 2022 mit dem Überfall auf die Ukraine eine weitere Eskalationsstufe erreichte, wurde diese antiwestliche und ukrainefeindliche Propaganda gezielt fortgesetzt. Damit sollte die russische „Spezialoperation“ als Entmilitarisierung der „faschistischen“ Ukraine gerechtfertigt werden. „Russia Today“ betrieb natürlich auch im westlichen Ausland eine entsprechende „Berichterstattung“, die in der Behauptung gipfelte, in der Ukraine würde ein Genozid an allem Russischen vollzogen. Dass der Sender durch die EU-Kommission verboten wurde, sorgte nicht nur in der Russischen Föderation, sondern auch in Deutschland, Großbritannien und Frankreich für Debatten. Dabei ging es aber in erster Linie um den Umstand, ob das im Westen gültige Prinzip der Staatsferne im Hinblick auf die Verhängung dieser Maßnahme adäquat berücksichtigt worden sei. Unbestritten blieb die Tatsache, dass es sich bei den Sendungen von RT nicht um Berichterstattung, sondern um reine Kriegspropaganda handele, bei der große Teile des aktuellen Kriegsgeschehens in der Ukraine bewusst und gezielt ausgeblendet werden, der Vernichtungskrieg gegen die Ukraine als „Spezialoperation“ gegen ein „faschistisches Regime“ verharmlost und gerechtfertigt wird. (Michael Hanfeld: Gegen die „giftige“ Desinformation“. Ursula von der Leyen sagt, man werde Putins Kriegspropaganda abschalten: die Medien RT und Sputnik. Wie will die EU-Kommission das bewerkstelligen. In: FAZ, 01.03.22, S. 13; ders.: Waffen im Informationskrieg. Die Europäische Union verbietet die russischen Staatsmedien. Dass wir von der Propaganda von RT und Sputnik nichts sehen, ist freilich nicht zu erwarten. In: FAZ, 03.03.22, S. 15; ders.: Gegen Desinformation helfen Verbote allein nicht. Die EU hat die russischen Staatsmedien verboten. Ist das der richtige Weg, Kriegshetze einzudämmen? Hamburgs Mediensenator Carsten Brosda hat Bedenken. In: FAZ, 29.03.22, S. 13)
Gleichzeitig sorgte man in den letzten Monaten und besonders seit dem Überfall auf die Ukraine in der Russischen Föderation dafür, dass eine unabhängige Berichterstattung eingeschränkt und schließlich unmöglich gemacht wurde, indem man sämtliche noch bestehende unabhängige Sender und Printmedien verbot und eine rigide Zensur einführte, für deren Nichtbeachtung drakonische Geld- und Haftstrafen angedroht werden. Inzwischen haben unabhängige Medien, wie der Fernsehsender „TV Doschd“ und das Newsportal „Znak“ ihre Arbeit eingestellt. Aufgelöst wurde ebenso der Radiosender „Echo Moskwy“. Immer mehr Journalisten/innen sind dabei, das Land zu verlassen.
Zudem wurden seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine die Websites der „Deutschen Welle“, der BBC und des russischen Dienstes von „Voice of America“ blockiert. Außerdem auch die Website des nunmehr in Lettland ansässigen exilrussischen Newsportals „Medusa“. (Friedrich Schmidt: Nur mit Putins Erlaubnis. Wer in Russland Informationen verbreitet, die von der offiziellen Darstellung abweichen, wird immer stärker bestraft. Das betrifft offenbar auch ausländische Bürger. In: FAZ, 05.03.22, S. 5)
So entsteht in Putins Reich eine bizarre Parallelwelt, die immer hermetischer wird. Die Folgen sind unter anderem eine enorme Massenemigration aus Russland, die mittlerweile über 300.000 Ausreisen umfassen soll, und die somit von Putin erwünschte und erzwungene Säuberung des Landes von „Landesverrätern/innen“, also jenen Menschen, die zwar gegen das Regime Putins sind, es aber angesichts der Stalinisierung der russischen Gesellschaft nicht mehr wagen, offen dagegen aufzubegehren. Hingegen funktioniert der russische Propagandaapparat im Staatsfernsehen und den Printmedien weiter mit Ausnahme kleiner, aber peinlicher Störungen, wie dem beherzten Auftritt der Nachrichtensprecherin Marina Owsjannikowa, die während einer Nachrichtensendung öffentlichkeitswirksam gegen die Lügenpropaganda Putins protestierte.
Darüber hinaus gibt es aber auch im westlichen Ausland eine recht große Zahl von unentwegten Putin-Unterstützern und Russland-Verstehern, die die Kremlpropaganda ungeachtet der zahlreichen Kriegsverbrechen der russischen Kriegsmaschinerie die Stange halten. Mit ihnen will ich mich hier am Beispiel einiger besonderer Protagonisten/innen exemplarisch beschäftigen.
Die Propaganda dieser Kremllautsprecher trägt auch in Deutschland Früchte, weiß man doch in Moskau sehr genau, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der über 3,5 Millionen Russischsprachigen in der Bundesrepublik diese Sendungen regelmäßig rezipiert und nicht nur Russland- sondern auch durchaus Putin-affin ist. Auch ist bekannt, dass die sog. Russlanddeutschen, die nach dem Verlassen der Sowjetunion, später der Russischen Föderation und der GUS-Staaten in der Bundesrepublik Deutschland in der Regel die CDU wählten, inzwischen aber, besonders seit der Flüchtlingskrise des Jahres 2015, nicht selten mit der AfD sympathisieren.
Die russische Staatspropaganda bemüht sich deshalb in expliziter Weise darum, gerade diese Gruppe für ihre antiwestlichen, antidemokratischen und rechtsextremen Inhalte zu gewinnen. Die Unterstützung Putins für die AfD und vice versa, die Rechtfertigung zahlreicher Vertreter dieser Partei für die russische Besetzung der Krim und die Gründung der sog. Volksrepubliken Luhansk und Donezk sind offenkundig.
In Moskau gern gesehene Gäste waren Alexander Gauland (wo er 2014 mit dem faschistischen „Denker“ Dugin diskutierte) oder Alice Weidel, die nach dem Giftanschlag auf Nawalny vor einem Jahr das Ende der Sanktionen gegen Russland forderte. Zuvor war bereits Tino Chrupalla wie ein Staatsgast vom russischen Außenminister Sergej Lawrow empfangen worden. Noch im Juni 2021 reiste Chrupalla zu einer „Sicherheitskonferenz“ nach Moskau, wo er u.a. Hitlers Propaganda im Zusammenhang mit dem Überfall auf die UdSSR mit der Entnazifizierung und der Reeducation der Westalliierten im Nachkriegsdeutschland verglich.
Für Aufregung sorgt aktuell auch der AFD-Bundestagsabgeordnete Eugen Schmidt, einer der Mitbegründer des „Zentralrats der Russlanddeutschen“, eines vor allem aus AFD-Mitgliedern bestehenden Vereins, der in Deutschland vor „Russophobie“ warnt. Schmidt, selbst Russlanddeutscher und „Russland-Experte“ aus Kasachstan, gibt auch nach dem Überfall auf die Ukraine Interviews in russischen Medien, in denen er behauptet, dass in der BRD das Recht auf freie Meinungsäußerung massiv eingeschränkt werde. Noch weiter geht Gunnar Lindemann, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, der die Meinung vertritt, dass die NATO in der Ukraine der Aggressor sei und die Bombardierung der Geburtsklinik in Mariupol, bei der es drei Todesopfer gab, auf Twitter so kommentierte: „Ohne Patienten. Dafür mit rechtsextremen Asov-Kämpfern“. Ähnlich der AFD-Abgeordnete Steffen Kotré, der ganz im Sinne der Putin-Propaganda über einen Verfassungsbruch auf dem Maidan 2014 und von ukrainischen Kriegsverbrechen im Donbass zu berichten wusste.
Der Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Stefan Meister, unterstreicht, dass durch die Reisen in von Russland teilannektierte Gebiete und entsprechende Nato- und deutschlandkritische Stellungnahmen dieser und anderer AFD-Abgeordneter Putins Verstöße gegen internationales Recht gerechtfertigt werden sollen. Die Werte eines liberalen, offenen Gesellschaftsmodells werden dabei konsequent in Frage gestellt. (Gareth Joswig: Wie hältst du’s mit Russland? In: taz, 29.03.22, S.4-5)
Nach dem Überfall Putins auf die Ukraine kam es auch in Deutschland im Hinblick auf Russland und seine Führung zu einem entsprechenden Stimmungsumschwung. Nicht zuletzt wegen der öffentlich ausgestrahlten Hetz- und Hasstiraden sowie offenkundigen, unhaltbaren und absurden Propagandalügen des Kreml-Chefs, aber auch wegen seiner Androhung, den Krieg bis zur Erlangung seiner Ziele mit allen nur erdenklichen Mitteln weiterführen zu wollen und keinen Konflikt mit dem Westen zu scheuen.
Dieser spürbare Umschwung in der veröffentlichten und öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik veranlasste den russischen Botschafter in Berlin sich schon bald darüber zu beklagen, dass die Verfolgung russischsprachiger Menschen in Deutschland „ein beispielloses Ausmaß“ erreicht habe. Davon seien alle russischsprachigen Menschen betroffen: Russen, Kontingent-Juden sowie Spätaussiedler. Sicherlich wird es inzwischen, besonders nach der Eskalation des russischen Vernichtungskrieges in der Ukraine, zahlreiche Bundesrepublikaner geben, die ihrer Wut und Fassungslosigkeit Ausdruck geben, und dafür nicht nur Putin, sondern auch „die Russen“ verantwortlich machen und sich gegenüber ihren russischsprachigen Mitbürgern/innen entsprechend äußern oder sie gar verunglimpfen.
Allerdings ist die russische Staatspropaganda mit Hilfe ihrer Lautsprecher sehr bemüht, solche Vorfälle hochzuspielen oder gar passende „Fakten“ zu erfinden. Dies war während der Krimbesetzung und der Kämpfe um den Donbass (als im russischen Perwyj Kanal Mitte Juli 2014 die Mähr verbreitet wurde, dass es in Slawjansk zur Kreuzigung eines dreijährigen russischen Kindes durch ukrainische Nationalisten gekommen sein soll), aber auch während der Flüchtlingskrise in Deutschland (angebliche Verschleppung und Vergewaltigung der 13-jährigen Lisa, eines russischen Aussiedlermädchens, durch Geflüchtete im Januar 2016) ein probates Mittel, um Hass zu schüren, und wird auch aktuell in ganz Europa fortgesetzt.
So ging am 19./20. März 2022 die frei erfundene Geschichte viral, dass in Euskirchen ein 16-jähriger Russlanddeutscher namens Daniel von einem Mob ukrainischer Flüchtlinge erschlagen wurde, und zwar nur deshalb, weil er Russisch gesprochen habe. Verbreitet wurde diese „Nachricht“ unter anderem auf dem Telegram-Kanal „Neues aus Russland“, der von der Putin-affinen Aktivistin Alina Lipp betrieben wird und mehr als 100.000 Abonnenten/innen zählt. Die Polizei in NRW geht davon aus, dass es sich dabei um ein vorsätzlich angefertigtes Fake-Video handelt, das Hass schüren soll.
Lipp, die aktuell für russischsprachige Propagandamedien aus der „Volksrepublik“ Donezk berichtet, nennt sich selbst „Friedensjournalistin“ und verbreitet seit 2020 im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie im Verbund mit Rechtsextremen, Verschwörungstheoretikern und Coronaleugnern eine massive, absurd wirkende und gegen die liberale Ordnung in Deutschland gerichtete Propaganda. In ihren Programmen werden Interviews mit dem Schweizer Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser, aber auch mit dem Ex-Ehemann von Sarah Wagenknecht, Ralph Niemeyer, ausgestrahlt. Ein prominenter Follower von Lipp ist der sächsische Landtagsabgeordnete Jörg Dornau, der ein Video von ihr teilte, in der von einer „Nazi-Regierung“ in Kiew gesprochen wird. (Matthias Meisner: Was weinende Mütter sagen, ist wahr. Im Netz verbreitet sich ein Video über die angebliche Tötung eines „Daniel“ durch ukrainische Männer. In: taz, 22.03.22, S. 18)
Bekanntlich unterstützt Putin auch die Rechtsextremisten in Frankreich mit erheblichen Mitteln, was sie ihm durch eine entsprechende europaweite Russlandpropaganda danken. Zu deren willigem Werkzeug ist auch die französische Kriegsberichterstatterin Anne-Laure Bonnel geworden, die mit ihrem Dokumentarfilm über den Krieg im Donbass und die dortigen russischen Separatistenrepubliken mit eindeutig falschen Angaben nachzuweisen versucht, dass die Ukraine für diesen Konflikt verantwortlich sei.
Sergej Lawrow, altgedienter russischer Außenminister und Chefpropagandist Putins, hat sich in einer Entgegnung auf eine Kritik Emmanuel Macrons am russischen Überfall auf die Ukraine auf dieses Machwerk berufen, um den „defensiven Charakter“ der aktuellen russischen „Spezialoperation“ in der Ukraine zu untermauern. Die Auftritte Bonnels, die zumeist von prorussischen Organisationen aus dem Umfeld Marine Le Pens inszeniert werden, sind im Internet dokumentiert; darin wird die Putinsche Legende verbreitet, dass es bei der russischen „Spezialoperation“ in der Ukraine darum gehe, den „Genozid“ an der russischen Bevölkerung zu beenden (Jürg Altwegg: Heldin der russischen Wahrheit. Die französische Kriegsreporterin Anne-Laure Bonnel ist zur Paradezeugin von Putins Propaganda geworden. Ihr Film über den Donbass ist wie gemacht dafür. In: FAZ, 11.03.22, S. 15)
Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um deutlich zu machen, dass es längst an der Zeit war und ist, der Putinschen Lügenpropaganda mit ihren „erfundenen Fakten“, Fake-Nachrichten und unerträglichen Hasstiraden gegen die Ukraine, die USA und die NATO in Westeuropa und speziell in Deutschland einen Riegel vorzuschieben. Sicherlich ist man dabei gut beraten, rechtsstaatliche Normen zu wahren, um sich nicht der zwar grotesken, aber weiterhin wirksamen Empörung der moskautreuen Lautsprecher auszusetzen, die sich nun über die Meinungsfreiheit in der EU und in Deutschland besorgt zeigen.
Angesichts einer weiterhin großen Zahl von Russland-Sympathisanten in Politik, Wirtschaft, Publizistik und Wissenschaft, die sich momentan in der EU und in Deutschland eine Pause gönnen, und angesichts einer großen Zahl nicht nur russischsprachiger Mitbürger/innen, die zwar die wirtschaftlichen und politischen Vorteile in der Bundesrepublik Deutschland gerne wahrnehmen, aber gleichzeitig auch autoritären Diktaturen und Großmachtphantasien zuneigen oder sogar das Wort reden, steht der mediale Krieg zwischen der offenen westlichen Gesellschaft und einem sich zusehends totalisierenden Russland erst an seinem Anfang.
Die Mauer, die Putin hier hochzieht, wird nur schwer zu überwinden sein, auch wenn man sich über kleine Teilerfolge freuen mag, wie das jüngst durchgeführte Interview von vier russischen Journalisten mit Wolodymir Zelenskyj, das auch in Russland viel Beachtung fand und den Kreml zu einer hektischen Gegenreaktion veranlasste. Dies hatte allerdings auch zur Konsequenz, dass der verdienstvolle Chefredakteur, mutige Kremlkritiker und letztjährige Nobelpreisträger Dmitri Muratow das Erscheinen der letzten unabhängigen Zeitung in Putins Reich, der berühmten „Nowaja Gazeta“ „bis zum Ende der Spezialoperation“ einstellen ließ. (Friedricke Gräff: „Schuld, Scham und Schock“. In Russland versuchen die verbliebenen Medien den staatlichen Druck transparent zu machen. Tamina Kutscher bietet mit der Plattform „dekoder“ die Möglichkeit, diesen Kampf um die Pressefreiheit auf Deutsch nachzuverfolgen. In: taz, 05./06. 03.22, S. 23; Ulrich Schmid: Im Land der Putin-Versteher. Von westlichen Werten und Verschwörungen: Deutsche Bücher über Russland leiden oft an einem verengten Blick auf ihren Gegenstand. In: FAZ, 24.03.22, S. 11; Friedrich Schmidt: Wolodymyr sticht Wladimir. Selenskyj gibt russischen Journalisten ein Interview – der Kreml schickt die Zensoren los. In: FAZ, 29.03.22, S. 3)