Merkel und Scholz, alles richtig gemacht?

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Die Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, bis vor kurzem als mächtigste Frau der Welt gefeiert und lange als beste Kennerin Putins gehandelt, hat sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine recht lange gar nicht in der Öffentlichkeit geäußert. Nun, nach einer kritisch kommentierten Talkshow im Juni dieses Jahres, tat sie es in Lissabon doch sehr explizit und hielt erneut fest, dass sie im Hinblick auf den deutschen Energiedeal mit Russland, dem in der EU sehr umstrittenen Bau von Nord Stream 2, der nach Ansicht zahlreicher europäischer Partner für einen die Ukraine zusätzlich gefährdenden deutschen Sonderweg stand, nichts zu bereuen habe. Auch die Tatsache, dass der Bau von Nord Stream 2 nur relativ kurz nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim beschlossen wurde, scheint die Ex-Kanzlerin selbst im Rückblick nicht zu stören.

Wir erinnern uns: Die durch Russland militärisch erzwungenen Gründungen der sog. autonomen Volksrepubliken von Luhansk und Donezk wurden zwar nicht anerkannt, in den Minsker Abkommen bemühte man sich um eine Einhegung des Konflikts, aber schließlich hielt man strikt am Energiedeal mit Putin fest. Mit absolut fatalen Folgen für Deutschland und Europa.

Es ist mittlerweile unbestritten, dass die deutsche Russlandpolitik mit ihrem schon seit dem Machtantritt Putins inhaltsleeren Slogan vom „Wandel durch Handel“ und durch die kurzsichtige Orientierung an rein wirtschaftlichen Interessen, die Position Putins wirtschaftlich und geopolitisch gestärkt und sich vom Kreml abhängig und erpressbar gemacht hat. Dass dies ein gravierender Fehler war, der auf einer fundamentalen Fehleinschätzung der Absichten des Kremlherrn beruhte, steht außer Frage.

Außer Frage steht auch, dass es genügend Russlandexperten im In- und Ausland gab, die davor warnten. Angesichts der in Deutschland übermächtigen prorussischen Energielobby und namhafter prominenter Unterstützer aus der Politik, besonders auch aus Reihen des langjährigen Koalitionspartners SPD, hatten sie allerdings kaum Chancen, Gehör zu finden. Ihre Argumente und Mahnungen wurden abgetan, die Einwände und Warnungen mittelosteuropäischer Partnerländer in den Wind geschlagen.

Insofern ist es bemerkenswert, dass Merkel weiter daran festhält, nichts falsch gemacht zu haben. Dies scheint mir Zeichen einer weitreichenden, besserwisserischen politischen Arroganz deutscher Spitzenpolitiker zu sein, die von Helmut Schmidt über Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel bis in die Gegenwart zu Olaf Scholz reicht. Hatte dieser nicht gerade vor kurzem geäußert, dass er sich über die wahren Absichten Putins schon seit langem keine Illusionen gemacht habe. Und jetzt bringen Dokumente aus dem Haus des Ex-Finanzministers anscheinend an den Tag, dass Scholz sich bis zuletzt für ein Festhalten an Nord Stream 2 stark gemacht hat. Das würde heißen, dass er trotz besseren Wissens von einem einmal eingeschlagen Kurs, bei dem in der EU recht rücksichtslos viel Porzellan zerschlagen worden war, nicht abweichen wollte!? Offenbar setzten sowohl Merkel als auch Scholz kaufmännisch auf das Prinzip „Hoffnung“ und „Vernunft“ und erkannten lange nicht, dass sie es bei Putin mit einem Spieler ganz anderer Art zu tun hatten.

Es ist sicher keine Schande, dies einzugestehen, schließlich befand man sich da nicht nur europaweit auf dem Holzweg und in guter Gesellschaft, man denke da nur an die Anbiederungsversuche Macrons gegenüber Russland. Allerdings gehört zu einer richtig verstandenen Zeitenwende auch, dass man selbst etwas demütiger wird und zu seinen Fehleinschätzungen steht.

Schließlich haben dies einige deutsche Spitzenpolitiker, wie etwa Bundespräsident Steinmeier, einstiger Schröder-Intimus und langjähriger Befürworter des deutsch-russischen Energiedeals schon längst getan, und sich damit ein Stück politischer Glaubwürdigkeit zurückgeholt, im In- und Ausland und gerade auch in der um ihr Überleben kämpfenden Ukraine, die ihm nicht ohne Grund lange sehr kritisch gegenüberstand.

https://www.rundschau-online.de/news/politik/-kein-hauch-selbstkritik–unverstaendnis-bei-ukraine-vertretern-nach-merkel-auftritt-39744052