Wenn Politik zum Spiel wird – und Lernen zum Erlebnis: Planspiele in der politischen Bildung

Laureen Hannig

Lange Inputs, öde Erklärvideos, eintönige Präsentationen – so lassen sich politische Prozesse heutzutage kaum noch erfolgreich vermitteln. Der Lernerfolg bleibt oft begrenzt, weil Inhalte abstrakt bleiben und nur schwer nachvollziehbar sind. Planspiele bieten hier einen anderen Zugang, der das Verständnis politischer Abläufe spürbar vertieft. Ein Beispiel aus der Praxis im GESW ist das Planspiel zur Bundestagswahl, das neben weiteren europäischen Planspielen durchgeführt wird. Dabei erleben die Teilnehmenden nicht nur den Wahlkampf, sondern auch die Bildung einer Regierungskoalition zwischen den verschiedenen Parteien. Gleichzeitig ist die Opposition gefordert, ihre Kontrollfunktion aktiv auszuüben, wodurch politische Dynamiken direkt erfahrbar werden.

Planspiele als Gamifizierung politischen Lernens

Man kann Planspiele auch als eine Form der Gamifizierung der politischen Bildung betrachten. Gamifizierung bezeichnet grundsätzlich die Übertragung spieltypischer Elemente – wie Wettbewerb, Rollen, Punkte, Missionen oder Herausforderungen – in einen Lern- oder Arbeitskontext, um Motivation, Engagement und Lernbereitschaft zu steigern. In der politischen Bildung bedeutet dies nicht, dass Politik „zu einem Spiel“ wird, sondern dass strategisches Handeln, Zielorientierung und Interaktion innerhalb der Simulation spielerisch erlebbar werden. 

Im Planspiel zur Bundestagswahl zeigt sich Gamifizierung darin, dass die Teilnehmenden Rollen übernehmen, strategische Entscheidungen treffen, Mehrheiten bilden oder sogar das Amt der Kanzler*innenschaft anstreben. Dabei gibt es – in übertragenem Sinne – Gewinner und Verlierer (in dem Fall des Planspiels z.B. Teil der Regierung oder eben nicht zu sein). Die spielerische Struktur steigert die Motivation, macht komplexe politische Prozesse anschaulich und aktiviert die Teilnehmenden, ohne dass der ernsthafte Bildungsinhalt verloren geht. Auf diese Weise verbindet das Planspiel politisches Lernen mit erlebnisorientiertem Handeln und vermittelt nicht nur Wissen, sondern auch entscheidende Kompetenzen wie strategisches Denken, Kommunikation und Urteilsfähigkeit nachhaltig.

Praxisbeispiel: Bundestagsbesuch und Rollenübernahme

Praktische Erfahrungen zeigen, wie tief das Planspiel in Lernprozesse eingreift: In einer unserer Gruppen, die den Bundestag besuchte, konnten die Teilnehmenden der Sitzung folgen und dem Abgeordneten gezielt Fragen stellen, die fundiert auf den im Planspiel gewonnenen Erfahrungen basierten. Durch das aktive Hineinversetzen in die Rollen entstand ein tieferes Verständnis für politische Abläufe, das weit über reines Faktenwissen hinausging.

Gruppendynamik, Strategien und Rollenbewusstsein

Die Umsetzung zeigt jedoch, dass Planspiele nicht nur fachliche, sondern auch gruppendynamische Herausforderungen mit sich bringen. Entscheidungen innerhalb der Gruppen orientieren sich nicht immer ausschließlich an inhaltlicher oder strategischer Logik der entsprechenden Parteien, sondern werden auch durch persönliche Sympathien oder Beziehungen beeinflusst. Und: Das Planspiel ist ein Spiel – dementsprechend geht es auch um das Gewinnen.

Um dies auszugleichen, funktionieren gezielte Methoden wie Raumwechsel, Rollenkleidung oder strukturierte Anleitungen zur Rollenübernahme, vielleicht sogar ein geführtes „Hineinfühlen“. Solche Maßnahmen unterstützen die Teilnehmenden dabei, sich bewusst in die Rollen hineinzudenken und die politischen Prozesse realistisch nachzuvollziehen.

Ein zentraler Bestandteil jedes Planspiels ist die Reflexion nach der Spielphase, das sogenannte Debriefing. Hier werden Entscheidungen, Konflikte und Rollenwahrnehmungen systematisch aufgearbeitet. Erst durch diese Nachbereitung verknüpfen die Teilnehmenden ihre Erfahrungen mit theoretischem Wissen und gewinnen ein vertieftes Verständnis politischer Dynamiken. Der Ablauf ist also: Einführung, Rollenübernahme, Spielphase, Distanzierung und Reflexion.

Umgang mit extremen Positionen

Besonders herausfordernd sind Planspiele, in denen politische Debatten auch extreme Positionen abbilden. Die Rollenprofile orientieren sich häufig an realen politischen Parteien. Um diese Perspektiven didaktisch sinnvoll einzubinden, sollten solche Planspiele nicht als Einstiegsmethode gewählt werden. Wichtige Vorbereitungen sind Gespräche über gesellschaftliches Miteinander, Werte und demokratische Spielregeln. Während des Debriefings werden rhetorische Strategien, Argumentationsmuster und Verhandlungslogik gemeinsam analysiert, sodass die Teilnehmenden lernen, extreme Positionen kritisch zu reflektieren, ohne dass deren Ideologien verharmlost werden.

Ich hab erst jetzt verstanden, wie unterschiedlich die Sichtweisen in der Politik sind – und wie anstrengend, aber auch spannend, es sein kann, sich auf einen Kompromiss zu einigen.

Schülerin, 11. Klasse

Planspiele tragen somit wesentlich dazu bei, politische Prozesse nicht nur zu verstehen, sondern sie aktiv zu erfahren. Durch die Kombination von Rollenübernahme, strategischem Handeln und Reflexion entstehen nachhaltige Lernprozesse, die sowohl politisches Fachwissen als auch soziale Kompetenzen wie Kommunikation, Konfliktlösung und Urteilsbildung stärken.

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