Friedensbewegte Russlandversteher

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Alice Schwarzer kann es nicht lassen, sich um den Weltfrieden öffentlich Sorgen zu machen und den Bundeskanzler in ihrem „Manifest für Frieden“ erneut dazu aufzurufen, sich intensiv für Friedensverhandlungen einzusetzen und von Waffenlieferungen an die Ukraine abzusehen. Ähnlich wie in ihrem Aufruf vom April 2022, das viele Unterstützer fand, wurde auch dieses Manifest bereits hunderttausendfach unterschrieben, und ähnlich wie damals wird Schwarzer wieder von einem illustren Kreis von deutschen Prominenten unterstützt. Im Unterschied zum April 2022 ist diesmal auch Sahra Wagenknecht mit von der Partie.

Auch die Stellvertretende Vorsitzende der Linken, Amira Muhamed Ali, machte in der Talkshow „Hart aber fair“ vom 13.02.2023 deutlich, dass sie voll und ganz hinter diesem von ihr unterzeichneten „Friedensmanifest“ stehe. Da nutzten auch die faktengestützten Analysen des ARD-Korrespondenten Vasili Golod, die Ausführungen des Ex-Nato-Generals Heinz-Lothar Domröse oder die kenntnisreichen Kommentare der Russland-Expertin Gesine Dornblüth nichts, Frau Muhamed Ali vertrat gegen jede nachvollziehbare Faktizität, dass das Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine notwendige Voraussetzung sei, um diesem blutigen Krieg ein Ende zu bereiten.

Dass ein Ende der Waffenlieferungen einer Kapitulation der Ukraine mit einem Schrecken ohne Ende für die für die ukrainische Bevölkerung und für die ukrainische Staatlichkeit gleichkäme – wie ihre Kontrahenten berechtigterweise mehrfach vorbrachten – drang nicht zu ihr durch. Empathie mit der Ukraine und mit den Ukrainern/innen und Respekt vor dem geltenden Völkerrecht und der Einhaltung von Menschenrechten scheint die „friedensbewegte“ Linke weniger zu kümmern. Damit stehen Schwarzer, Wagenknecht, Muhamed Ali indessen durchaus nicht allein, denn ihnen gesellen sich weitere prominente Erstunterzeichner hinzu. Unter anderem die Politikwissenschaftler Johannes Varwick und Ulrike Guérot sowie die Ex-Politiker Jürgen Todenhöfer und Oskar Lafontaine.

Unterstützt wird das Manifest auch von dem deutschen Ex-General Erich Vad, der die Waffenlieferungen zu Beginn des Krieges kritisiert und eine baldige Niederlage der Ukraine prophezeit hatte.

Auch die einstige Rastvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, gehört zu den Unterzeichnerinnen. Sie sprach sich schon seit dem Sommer 2022 gegen eine „rein militärische Logik“ aus und für mehr diplomatische „Phantasie“ bei den Entscheidungsträgern. Noch eindeutiger hat sich an anderer Stelle ein weiterer prominenter Kirchenmann, der Theologe und Pazifist Eugen Drewermann, geäußert. Auf einer Kundgebung in Minden machte er jüngst den „amerikanischen Hegemonialimperialismus“ für den Ausbruch des Krieges verantwortlich. Die Nato habe Putin mit ihrer Osterweiterung provoziert. Außer dieser Sorge um die Sicherheitsinteressen Russlands, die quasi eine Schuldumkehr impliziert, verstieg sich der bekannte Theologe zu der Behauptung, dass die Ukraine 250 Jahre zu Russland gehört habe. Das liest sich dann als quasi Rechtfertigung für den russischen Überfall auf die Ukraine!?

Aber es sind nicht nur linke USA- und Nato-Kritiker, die ihre Unterschrift unter das Manifest gesetzt haben: Auch die Namen des konservativen CSU-Politikers Peter Gauweiler und des ehemaligen EU-Kommissars Günter Verheugen stehen unter dem Papier. Schließlich teilte auch der AFD-Vorsitzende Tino Chrupalla per Twitter mit, dass er das Manifest unterzeichnet habe. Ein wahrlich parteiübergreifendes „Friedensbündnis“, das von der äußersten Linken bis zur äußersten Rechten reicht.


Liest man sich den Text des Manifests indessen aufmerksam durch, so stellt man erstaunt fest, dass darin zu Beginn zwar zur Solidarität mit der überfallenen Ukraine aufgerufen wird, dass dann aber nicht mehr zwischen Täter (Angreifer)und Opfer (Verteidiger) unterschieden wird. Vielmehr wird eher Verständnis für den Aggressor aufgebracht, der im Fall eines ukrainischen Angriffs auf die Krim zu einem „maximalen Gegenschlag“ ausholen könnte.

Dahinter steht offensichtlich die Angst vor der von Putin immer wieder ins Spiel gebrachte Drohung mit Atomschlägen und vor einer direkten Auseinandersetzung zwischen Nato und Russland, die zu einem Drittem Weltkrieg führen könnte.

Nirgendwo ist in diesem „Manifest für Frieden“ die Rede davon, dass Russland einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führt, es wird nicht einmal erwähnt, dass sich die Ukrainer und Ukrainerinnen, die um den Erhalt ihrer nackten staatlichen und nationalen Existenz kämpfen, sich seit fast einem Jahr erfolgreich gegen einen übermächtigen und rücksichtslosen Aggressor verteidigen.

Die Ukraine hat in den Ausführungen der beiden Autorinnen reinen Objekt- keinen Subjektcharakter. Zudem wird der Eindruck erweckt, als sei Präsident Selenskyj mit seinen Forderungen nach weiteren schweren Waffen (Kampfflieger) ein Kriegstreiber, der immerzu mehr und mehr schwere Waffen fordere. Dass die Ukraine diese Waffen dringend benötigt, um sich zu verteidigen und von Russland okkupiertes Gebiet zurückzugewinnen, bleibt unerwähnt. Vielmehr wird der Ukraine unterstellt, mit den westlichen Waffensystemen Russland angreifen zu wollen.

Die weitgesteckten Kriegsziele Putins scheinen den Unterzeichnern/innen dieses „Manifests“ nicht bekannt zu sein: Die Auslöschung der Ukraine, die gewaltsame Wiederherstellung der Dominanz über ganz Osteuropa sowie die Spaltung und Zerstörung der Europäischen Union stehen weiterhin auf der Agenda der russischen Führung, die bisher zu keinerlei Kompromissen und seriösen Verhandlungen bereit ist.

Man muss schon sehr ahnungslos oder ignorant sein, wenn man dies noch immer nicht zur Kenntnis genommen hat. Oder man ist – wie Reinhard Veser kommentiert hat – in der Rolle der propagandistischen Helfer Putins befangen. (Reinhard Veser: Putins propagandistische Helfer. Alice Schwarzers und Sahra Wagenknechts „Manifest für Frieden“. In: FAZ, 14.02.23, S.8)

Noch deutlicher geht der namhafte Politologe Herfried Münkler mit den Verfasserinnen und Unterzeichnern/innen dieses „Friedensaufrufs“ ins Gericht, indem er ihn als „gewissenloses Manifest“ verurteilt. Schwarzer, Wagenknecht und die Unterzeichnenden des Aufrufs „betreiben mit kenntnislosem Dahergerede Putins Geschäft“. Damit werde die gesamte Idee des Pazifismus und das Grundanliegen der Friedensbewegung desavouiert, denn die Verteidigung gegen einen Aggressor – so Münkler – bleibe selbstverständlich zulässig. Im „Manifest“ werde indessen die Kategorie von Angriff und Verteidigung durchgängig nivelliert: „Pazifismus ist dann nicht anderes als Unterwerfungsbereitschaft. Das war er eigentlich nie, und was wir in diesem Papier vorgeführt bekommen, ist das Ende einer politisch ernstzunehmenden Friedensbewegung.“ (https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2023-02/58300499-politologe-herfried-muenkler-verurteilt-friedensaufruf-von-schwarzer-wagenknecht-als-gewissenloses-manifest-007.htm )

Dem ist aus meiner Sicht nichts mehr hinzuzufügen, außer dem nur schwer nachvollziehbaren Umstand, dass es in Deutschland noch immer so viele prominente „friedensbewegte“ Russlandversteher gibt, die unter dem Deckmäntelchen eines falsch verstandenen Pazifismus ganz offen die Interessen Putins vertreten und dafür noch so viel Zuspruch erhalten.