Putin dreht am Gashahn

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

Bereits im September 2021, zu einem Zeitpunkt, als man in Deutschland noch fest von einer Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ausging, ließ die polnische Regierung verlauten, dass die mit Gas aus Norwegen beschickte und über Dänemark nach Polen führende Baltic Pipe am 1. Oktober 2022 voll funktionsfähig sei und man den bestehenden Vertrag mit Gazprom nicht verlängern werde. Die Gastransportkapazität der Baltic Pipe beträgt etwa 10 Mrd. Kubikmeter jährlich. Seit geraumer Zeit schließt das polnische Unternehmen Gaz-System Verträge mit den Nachbarländern Polens ab, die zum Ziel haben, durch entsprechende Gaslieferungen die erhebliche polnische Abhängigkeit von russischem Gas auf null zu stellen.

Gut einen Monat nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine kündigte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am 31. März 2022 an, dass Polen seine Energieimporte aus Russland, also Steinkohle, Erdöl und Erdgas bis Ende des Jahres ganz einstellen werde. Das bedeutete einen radikalen Schnitt, denn immerhin gehörte das Land bis dahin zu den Topabnehmern russischer Energieträger (46% beim Erdgas, 64% beim Erdöl, 15% bei der Steinkohle). Bekanntlich hat Polen neben dem Projekt Baltic Pipe auch noch den Ausbau des schon bestehenden Flüssiggasterminal in Świnoujście in der Pipeline, wofür es neue Verträge mit Lieferfirmen aus den USA und aus Katar abschließt.

Russland hat offenbar unter dem Eindruck der von Robert Habeck jüngst in Warschau ausgehandelten Lösung für ein von Deutschland nun doch sehr bald mögliches Erdölembargo gegen den russischen Aggressor umgehend reagiert. Der Gashahn nach Polen und nach Bulgarien wurde zugedreht. Dabei dürfte auch das von den USA auf der Militärbasis in Ramstein am 26. April 2022 einberufene Treffen von hochrangigen Vertretern aus zahlreichen westlichen Staaten, die in seltener Einigkeit eine weitere entschiedene militärische Unterstützung der Ukraine befürworteten, eine Rolle gespielt haben. Angesichts der Tatsache, dass es in der Ukraine weder an der Ost- noch an der Südfront nennenswerte russische Militärerfolge zu vermelden gibt, reagiert Putin mit weiteren Drohungen in Sachen Dritter Weltkrieg und eben auch mit der Sperrung der Gaszufuhr für Polen und Bulgarien.

Begründet wird dieser Schritt mit der konsequenten Weigerung Polens, die russischen Gaslieferungen – wie von Putin ultimativ gefordert – in Rubel zu bezahlen. Da sich die polnische Regierung wie oben erwähnt seit langem auf dieses Szenario vorbereitet hat, sieht man den Folgen dieses russischen Revancheakts in Warschau relativ gelassen entgegen, zumal die Gasreserven des Landes groß sind und die Heizperiode sich ihrem Ende nähert. Man darf gespannt sein, ob das sowohl militärisch als auch wirtschaftlich unter großem Druck stehende Russland sein Gasembargo weiter ausweitet, etwa auf die Bundesrepublik Deutschland, die sich nach langem Zaudern jetzt doch dazu durchgerungen hat, auch sog. schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.

Derweil brachten die Moskauer Gespräche zwischen dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres sowie Sergej Lawrow und Wladimir Putin – wie zu befürchten war – kein konkretes Ergebnis. Russland setzt weiter auf Angriff und möchte seine Kriegsziele möglichst bald erreichen. Ein Ende des Konflikts ist nicht absehbar. Sollte die EU demnächst ein weitgehendes Ölembargo gegen Russland beschließen und sich am Frontverlauf in der Ukraine nichts Grundlegendes ändern, dann beginnt der Faktor Zeit gegen den russischen Despoten zu wirken. Die Wirkung seiner Drohgebärden mit einem Nuklearkrieg verpufft bei den westlichen Regierungen allmählich. Die probate, offenbar abgestimmte Lösung des Westens sollte weiterhin darin bestehen, die Ukraine kontinuierlich mit Waffen zu unterstützen und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu intensivieren. Das von der EU vorbereitete Erdölembargo ist dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es sollte möglichst bald kommen.