„Böse Geister“ – Fjodor M. Dostojewskij

Dr. Gerhard Schüsselbauer

Keine Wegspur, nichts zu sehen,
wissen wir noch, wo wir sind?
Böse Geister, scheint es, drehen
uns im Kreis, im Wirbelwind.“

– Alexander S. Puschkin

Was für ein Erlebnis! „Böse Geister“, den schon vor 150 Jahren erschienenen monumentalen Roman von Fjodor M. Dostojewski sollte man unbedingt erneut lesen und wird dabei Parallelen feststellen, die ihresgleichen suchen. Besonders interessant ist zudem, dass Swetlana Geier, die geniale Übersetzerin, 1923 ausgerechnet in Kiew geboren wurde und schon 1943 ins damalige Deutsche Reich kam. Ihr Vater starb 1939 nach der Folter in den grausamen Jahren der stalinistischen Säuberung. Sie lebte bis zu ihrem Tod 2010 in Freiburg im Breisgau und hat in über 20 Jahren Arbeit alle großen Werke Dostojewskis neu übersetzt, darunter „Die Brüder Karamasow“, „Verbrechen und Strafe“, „Der Idiot“, „Der grüne Junge“ und eben „Böse Geister“, dessen anderer Titel einer früheren Übersetzung „Die Dämonen“ ist.

eigenes Foto, Gerhard Schüsselbauer

Liest man dieses fantastische Werk erneut, dann entdeckt man einen der wichtigsten Romane der russischen Literatur, der derart viele treffende Passagen enthält, wenn es um die Beschreibung der aktuellen Situation mit dem brutalen Angriffskrieg der diktatorischen russischen Regierung von Putin und Lawrow und ihren Helfershelfern geht. Dostojewskij galt nicht nur stets als Stilist und großer Moralist, sondern auch als Visionär. Schon viele Entwicklungen des Bolschewismus und Stalinismus nahm er vorweg. Niemand hätte jedoch je gedacht, dass die „Bösen Geister“ im 21. Jahrhundert so schnell zurückkommen würden und ihr furchtbares Unwesen treiben könnten.

„… wissen Sie, welches Volk jetzt auf der ganzen Erde das ‚Gottesträgervolk‘ ist, das da kommt, um die Welt im Namen des Neuen Gottes zu erneuern und zu erretten, und dem als einzigem die Schlüssel des Lebens und des Neuen Wortes gegeben sind… Wissen Sie, welches Volk das ist und welches sein Name ist?“ (S. 325, Fischer TB, 6. Auflage: März 2012)

„Ich bin schon deshalb von dem Erfolg dieser geheimnisvollen Propaganda überzeugt, weil Rußland jetzt derjenige Ort auf der Welt ist, wo alles geschehen kann ohne den geringsten Widerstand.“ (S. 488)

„Im Wesentlichen ist unsere Lehre die Negation der Ehre, und mit der Legalisierung der Ehrlosigkeit kann man den Russen am leichtesten mitreißen.“ (S. 509)

„Freilich, er belächelt herablassend auch Rußland, und er kennt auch nichts Angenehmeres, als vor den großen Geistern Europas den Bankrott Rußlands zu proklamieren.“ (S. 673)

„…Europa zitterte… Aber noch nie während des ganzen sinnwidrigen Jahrtausends seines Bestehens war Rußland auf einen solchen Tiefpunkt der Schande gesunken.“ (S. 685)

„Soweit ich verstanden habe, und es war kaum möglich, nicht zu verstehen, haben Sie selbst, am Anfang und später noch einmal, mit großer Eloquenz – wenngleich allzu theoretisch – das Bild eines Rußlands entworfen, das von einem unendlichen Netz von Gruppen überzogen sei.“ (S. 763)

Und eine der wichtigsten religionsphilosophischen Passagen lautet:

„Waren Sie es denn nicht, der mir gesagt hat, daß Sie, wenn man Ihnen mathematisch bewiese, daß die Wahrheit außerhalb Christi sein, lieber mit Christus als mit der Wahrheit bleiben würden?“ (S. 328)

Lohnender kann eine Romanlektüre zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sein!