Dr. Zbigniew Wilkiewicz
Die deutsch-polnischen Irritationen um die Stationierung von Patriot-Flugabwehrbatterien in Polen scheinen beigelegt zu sein. Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda war kürzlich in Berlin um Schadensbegrenzung bemüht und bedankte sich beim deutschen Bundespräsidenten Franz Walter Steinmeier für diese wichtige Geste freundschaftlicher deutscher Solidarität. Die deutschen Patriots werden also in Polen und nicht in der Ukraine, wie dies von Jarosław Kaczyński, dem starken Mann Polens, vorgeschlagen worden war, stationiert, allerdings mit polnischer und nicht deutscher Bedienungsmannschaft.
Vorausgegangen war dieser Einigung ein peinliches Hin und Her in Polen, das auf die antideutsche Wahlkampstrategie der PiS-Regierung unter Jarosław Kaczyński zurückzuführen ist. Der PiS-Vorsitzende und seine Getreuen führen seit Monaten eine verschärfte Wahlkampfkampagne, bei der es in erster Linie darum geht, die Bündnistreue Deutschlands in der NATO in Zweifel zu ziehen und einen usurpatorischen Führungsanspruch Deutschlands in der EU, dem wiederholt die Gründung eines „Vierten Reichs“ unterstellt wurde, zu postulieren. Die antideutschen Töne, von denen man sich eine Mobilisierung der konservativen PiS-Anhängerschaft erhofft, sind schon lange fest im Programm der PiS verankert und werden auch gelegentlich auf die „deutsche“ EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen ausgeweitet, die angeblich in erster Linie deutsche Interessen vertrete.
Einer besonderen Schmutzkampagne ist der Oppositionsführer Donald Tusk, langjähriger Präsident des Europäischen Rats, ausgesetzt, dem man vorwirft, nicht die polnischen, sondern die deutschen, im Zweifelsfall auch die russischen Interessen zu vertreten. Im polnischen Staatsfernsehen, das in den letzten Jahren durch die PiS gleichgeschaltet wurde, werden diese an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfe seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholt.
In die gleiche propagandistische Richtung zielten die kürzlich erhobenen, an Deutschland gerichteten Reparationsforderungen in astronomischer Höhe, die bekanntlich weder völkerrechtlich noch realpolitisch eine Chance auf Realisierung haben.
Aber die PiS gebärdet sich nicht nur antideutsch, sondern hält auch an ihrem gegen die EU gerichteten Kurs fest. Der EU wirft man vor, Polen in Sachen Rechtsstaatlichkeit zu bevormunden und zu diskriminieren. Auch bringt man immer wieder seine Entrüstung über die dem Land bereits auferlegten und eventuell noch bevorstehenden Sanktionen zum Ausdruck, für die wiederum in erster Linie Deutschland verantwortlich gemacht wird.
In dieser Hinsicht zeichnet sich besonders der Hardliner im rechten polnischen Regierungslager, der dem nationalistischen „Solidarischen Polen“ angehörende Justizminister Zbigniew Ziobro aus, der die Versuche des etwas gemäßigteren Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki, mit der EU zu einer Einigung zu kommen, um damit nicht den Anspruch auf die von Polen so dringend benötigten EU-Fördergelder zu verlieren, bisher erfolgreich torpediert hat. Da die PiS-Führung diesen kleineren Koalitionspartner dringend benötigt, um an der Macht zu bleiben, bleibt sie erpressbar und erweist sich der EU gegenüber als ausgesprochen hartleibig. Allem Anschein nach hat sich Morawiecki aktuell aber mit seiner versöhnlicheren Linie in Brüssel durchsetzen können. (Thomas Gutschker, Reinhard Veser: Morawiecki will das EU-Geld. Polens Regierungschef will Brüssels Forderungen für die Auszahlung der Mittel aus dem Corona-Fonds erfüllen – anders als Justizminister Ziobro. In: FAZ, 15.12.22, S.5)
Berechtigterweise heben deshalb unabhängige polnische Medien und Kommentatoren hervor, dass die PiS-Regierung, die sich stets als besonders patriotisch ausgibt, längst nicht mehr die wohlverstandenen nationalen und internationalen Interessen Polens vertritt, sondern lediglich bestrebt ist, mit allen Mitteln an der Macht zu bleiben.
Zugleich ist das Land total gespalten, weil der autoritäre, nationalistische und den Rechtsstaat in Frage stellende Kurs der PiS-Regierung nicht nur im europäischen und außereuropäischen Ausland mit Besorgnis registriert wird, sondern auch von den polnischen Oppositionsparteien auf das Schärfste kritisiert wird. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse, hoher Inflation und unzureichender Energieversorgung sowie einer geradezu reaktionären Gesellschafts- und Kulturideologie der PiS, die mit Hilfe des erzkonservativen polnischen Episkopats den „Genderismus“ und den verweichlichten, allzu liberalen Westen bekämpft, ganz zu schweigen von einem ostentativ betriebenen Klientelismus und einer schamlosen Vetternwirtschaft, regt sich in der polnischen Zivilgesellschaft zunehmend Widerstand. Ein Regierungswechsel scheint bei den im nächsten Jahr anstehenden Parlamentswahlen deshalb durchaus möglich.
Zudem ist das von der PiS beherrschte Polen in Europa weitgehend isoliert, sucht den Schulterschluss zu nationalistischen und rechtsextremen Parteien (Le Pen) und Regierungen in Europa (Ungarn, Italien) und nimmt für sich in Anspruch, das wahre Europa der Vaterländer zu vertreten. Dabei nehmen einige ultrakonservative polnische Hardliner in Kauf, dass man damit ähnlich wie Viktor Orbán in Ungarn die EU spaltet und dem Kriegstreiber Putin in die Karten spielt.
So ist es ist in der Tat der polnische Staatspräsident Andrzej Duda, der seit geraumer Zeit bemüht ist, die Beziehungen zur EU und zur Bundesrepublik zu entschärfen. Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, der im Grunde genommen gegen den gesamten Westen und seine Bündnissysteme (EU und NATO) geführt wird, hat Polen enorme Anstrengungen unternommen, um der Ukraine und den Ukrainern/innen nicht nur humanitär, sondern auch militärisch und logistisch als Drehscheibe für die westlichen Hilfsgüter und Ausrüstungen unter die Arme zu greifen. Dafür wird dem Land und besonders seiner überaus hilfsbereiten Zivilgesellschaft nicht nur Anerkennung und Dank seitens der Ukraine entgegengebracht, sondern auch die USA und die EU wissen diesen außergewöhnlichen Einsatz zu würdigen.
Dem polnischen Staatspräsidenten dürfte in diesem Kontext klar sein, dass es gerade auch der deutschen Unterstützung und der intensiven Kooperation mit Deutschland bedarf, um die eigene Sicherheitslage zu verbessern und der Ukraine auf Dauer zu einem militärischen Sieg über Russland und damit zu einer in Ansätzen gesicherten staatlichen Existenz zu verhelfen. Deshalb ist ihm wohl auch klar, dass die von seinem Parteifreund Kaczyński massiv betriebene antideutsche Propaganda nicht nur aus der Zeit gefallen zu sein scheint, sondern auch zu einer beträchtlichen Schwächung des westlichen Bündnisses beiträgt, das seitens Russlands noch lange einer außerordentlichen Bedrohung ausgesetzt bleiben wird.
Insofern kann Dudas Besuch in Berlin dazu beitragen, verloren gegangenes Vertrauen auf beiden Seiten zurückzugewinnen und die deutsch-polnischen Beziehungen zu verbessern. Duda hat im Zusammenhang mit dem in Polen von der PiS inszenierten Gezerre um die Stationierung deutscher Patriots in Berlin klar Position bezogen und die Bedeutung der deutsch-polnischen Partnerschaft und Freundschaft ostentativ unterstrichen. Damit hat er seinem an der Ostflanke der NATO exponierten Land einen guten Dienst erwiesen und sich einen weiteren Schritt aus dem Schatten Kaczyńskis gelöst.
In diesen für Europa so schweren Zeiten ist es geboten, dass die deutsche Außenpolitik nicht nur die Beziehungen zu Frankreich, sondern auch zu Polen nachhaltig verbessert, trotz aller wahlkampfbedingten antideutschen Propaganda der im Nachbarland regierenden PiS. Mit dem deutschen Hilfsangebot, Patriots an Polen zu liefern und dem schlussendlich klärenden Gespräch zwischen den beiden Staatspräsidenten wurde dafür ein erster wichtiger Schritt getan. Weitere Schritte dieser Art, so bei der gegenseitigen Unterstützung in Fragen der Energieversorgung sowie einer aufmerksameren und sachlicheren Art, die beiderseitigen Interessen miteinander abzustimmen, wären in gesamteuropäischem Interesse sehr wünschenswert. Das heißt nicht, dass der auf das von der PiS dominierte Polen ausgeübte Druck der EU in Sachen Rechtsstaatlichkeit nachlassen sollte. Im Gegenteil, die polnische Führung muss mit aller Entschiedenheit dazu veranlasst werden, ihren vertraglichen Verpflichtungen innerhalb der EU nachzukommen und auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren.