Dr. Zbigniew Wilkiewicz
Täglich sterben Hunderte Soldaten an der Ostfront in der Ukraine, Ukrainer wie Russen, in einem geschätzten Verhältnis von 1:5. Trotz der exorbitanten russischen Verluste setzt die russische Armeeführung ihre althergebrachte Art der Kriegführung fort. Menschenleben zählen nicht, die russischen Freiwilligen, ob nun die von Prigoschin gedungenen Söldner oder Kriminellen oder die Angehörigen regulärer Armeeeinheiten sterben massenhaft und werden rücksichtslos in den Tod geschickt. Trotzdem ist es weder der Wagner-Gruppe noch den regulären russischen Truppen gelungen, die ukrainischen Linien zu durchbrechen und das seit Monaten blutig umkämpfte Bachmut einzunehmen. Auf der anderen Seite mögen die Ukrainer nicht weichen, denn sie können weder ihr Land noch sich selbst aufgeben, lieber sterben sie im Kampf an der Front.
Inzwischen jährt sich auch das Massaker von Butscha, damals das erste, besonders düstere Fanal für den bestialischen Vernichtungskrieg Russlands gegen eine sich tapfer verteidigende Ukraine und ihre Zivilbevölkerung. Ihm folgten weitere in Irpin, Kramatorsk und Mariupol.
Inzwischen hat man auch in Europa begriffen, dass es mit diesem Russland und mit dieser Kreml-Führung absehbar keine sinnvollen „Friedensgespräche“ geben kann. Trotz seines Versagens, kein einziges seiner strategischen Ziele in der Ukraine und gegenüber dem „kollektiven Westen“ wurde erreicht, hält der Kriegstreiber und Kriegsverbrecher Putin an seinen Kriegszielen fest. Nachdem es der russischen Führung misslang, Europa und die Ukraine durch die Sperrung der Gaslieferungen und die massive Vernichtung kritischer Infrastruktur in die Knie zu zwingen und sich auch Deutschland nach langem Hin und Her endlich entschieden hat, die Ukraine mit den dringend benötigten Kampfpanzern zu beliefern, steht Putin endgültig vor einem Scherbenhaufen. Da nutzt auch der zu Propagandazwecken weidlich ausgeschlachtete Besuch Xis in Moskau nicht allzu viel, denn Russland hat sich mit seiner endgültigen Abkehr vom Westen und seiner Kriegserklärung an die NATO-Staaten nun selbst und auf lange Zeit zum Kellner und zur Tankstelle Chinas degradiert.
Unabhängig vom Ausgang dieses Krieges hat Putin Russland in eine schier ausweglose Lage gebracht. Dies ergibt sich nicht nur aus den westlichen Sanktionen, die ihre toxische Wirkung für die russische Wirtschaft mehr und mehr entfalten, sondern auch aus der weltweilten Ächtung einer Großmacht, die für die Flucht, Vertreibung und Deportation von mehreren Millionen ukrainischer Kinder, Frauen und Männer, für die Zerstörung ganzer Städte und die Kontaminierung ganzer Landstriche verantwortlich ist.
Dieser sinnlose und durch nichts zu rechtfertigende Krieg hat überdies dafür gesorgt, dass der Westen Europas, also in erster Linie die EU und Großbritannien in den kommenden Jahren erhebliche Mittel in die Hand werden nehmen müssen, um sich gegen den aggressiven und unberechenbaren Imperialismus Russlands zu wappnen. Das wird besonders in solchen Ländern wie Deutschland, die über Jahrzehnte an der Chimäre einer zuverlässigen deutsch-russischen „Modernisierungspartnerschaft“ festgehalten haben, nicht nur zu einem harten Umsteuern in der Energie-, Wirtschafts- und Außenpolitik führen müssen, sondern ebenso zu einem Umdenken in der deutschen Gesellschaft, die darauf vorbereitet werden muss, die Bundesrepublik gegebenenfalls auch militärisch verteidigen zu müssen. (Reinhard Bingener, Markus Wehner: Die Moskau Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Anhängigkeit. München 2023).
Die direkten westlichen Nachbarstaaten Russlands, ob nun Skandinavier, Balten oder Polen sowie andere mittelosteuropäische NATO-Verbündete haben dies aufgrund einer permanent anhaltenden Bedrohungslage, die in Westeuropa, besonders aber in der BRD, systematisch kleingeredet wurde, eher verstanden und schon vor einigen Jahren entsprechende Schlüsse gezogen. Bislang neutrale Staaten wie Finnland und Schweden ziehen nun die notwendigen Konsequenzen.
Im Unterschied zu Russland, das in der Sackgasse steckt und seinen Untertanen nicht einmal die vage Versprechung einer „lichten Zukunft“ zu bieten hat, nimmt sich die Situation im Westen und in der mit ihm verbündeten leiderprobten Ukraine nicht ganz so düster aus. Denn immerhin gibt es hier das Versprechen der USA und der EU, das Land so lange zu unterstützen, wie es nötig ist. Und es gibt die Perspektive eines Wiederaufbaus sowie eines EU-Beitritts und zukünftig effektiveren Schutzes durch Sicherheitsgarantien gegen den aggressiven russischen Imperialismus.
Dies bedeutet, dass man nach den Erfahrungen mit dem von Putin aufgebauten „bedrohlichsten Regime der Welt“, der Ukraine einen Beitritt zur NATO nicht mehr wird verweigern können. (Michael Thumann: Revanche. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat. München 2023). Ohne ein Friedensabkommen, das die militärische Niederlage Russlands zur Voraussetzung hat, wird dies allerdings nicht möglich sein.
Der Westen ist deshalb gut beraten, die Ukraine bei der bevorstehenden Frühjahrsoffensive mit all jenen, seit Monaten geforderten Waffensystemen quantitativ und qualitativ zu unterstützen, die sie dazu befähigen, die russischen Okkupanten aus allen völkerrechtswidrig besetzten ukrainischen Gebieten hinauszudrängen. Hier sollte es gerade angesichts der aktuell erneut vorgebrachten nuklearen Drohgebärden Russlands keine „roten Linien“ geben.
Für Putins Russland aber bleibt, um langfristig aus der ausweglosen Sackgasse hinauszugelangen, in die es sich selbst und ohne Not hineinmanövriert hat, nur der militärische Rückzug und die Aufgabe besetzten Gebiets.
Die diesjährigen friedensbewegten Ostermärsche, zu denen „Die Linke“, Teile der SPD und Gewerkschaften aufgerufen haben, wären, um nur ansatzweise glaubwürdig zu bleiben, gut beraten neben dem nur allzu verständlichen Wunsch nach einem Frieden ohne Waffen die dafür notwendigen Voraussetzungen mit zu benennen: der kriegsverbrecherische Aggressor sollte beim Namen genannt und aufgefordert werden, seine Militärhandlungen einzustellen und sich auf sein Staatsgebiet zurückzuziehen.