Wehrhaft nach innen und nach außen

Dr. Zbigniew Wilkiewicz

In einer Zeit der großen weltweiten Verunsicherung, die besonders auch Europa und Deutschland betrifft, fragt man sich als politischer Bildner nicht selten, wie viel unser über Jahrzehnte währendes Eintreten für Demokratie, Freiheit, Frieden und Toleranz wirklich wert war? Was konnten und was können wir gegen die Welle von Hass, Intoleranz und menschenverachtender Propaganda, die uns überall entgegenschlägt, ausrichten? Wie können wir uns gegen das Meinungsdiktat entschiedener Minderheiten, die auf eine weitere Spaltung unserer Gesellschaften setzen, wehren? Wie kann man angesichts von Kriegen und terroristischen Gewaltakten, in denen die elementarsten Regeln der Humanität gezielt gebrochen und reihenweise Kriegsverbrechen verübt werden, selbst noch „sachlich“ bleiben. Wie soll man mit entschiedenen Gegnern des westlichen Demokratiemodells umgehen, deren weitreichendes Ziel es ist, ganze Staaten und Völker auszulöschen?

Denn Israel und die Ukraine kämpfen nicht nur um ihr politisches und wirtschaftliches Überleben, sondern um ihre nackte Existenz. Die Programmatik der Hamas und die Ziele des russischen Kriegs in der Ukraine haben eindeutig völkermörderischen Charakter.

Diese Frage des Umgangs mit Extremisten, die unsere Weltordnung und unser Gesellschaftssystem bekämpfen, um autoritäre, demokratiefeindliche Systeme durchzusetzen, stellt sich immer dringlicher und mit aller Macht: nicht nur außen- sondern auch innenpolitisch. Die Tatsache, dass es nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine gerade in Deutschland, eine große Zahl von besorgten intellektuellen Putin-Verstehern gab, die zu „Frieden“ aufriefen, ohne sich Gedanken über die Zukunft des überfallenen Opfers und der daraus resultierenden Weltordnung zu machen, war mehr als beschämend. Und der Umstand, dass es nach dem mörderischen Überfall der Hamas auf Israel nach erster Betroffenheit sehr bald sehr klare antiisraelische Ansagen gab, die mittlerweile auf blanken Antisemitismus hinauslaufen, lassen die Alarmglocken schrillen.

Gleichzeitig scheint die Entschiedenheit des Westens, die Ukraine weiterhin nachhaltig zu unterstützen, zu bröckeln. Angesichts des Patts an den Fronten werden von den verschiedensten Seiten Feuerpausen oder gar Friedensgespräche gefordert. Doch die Angreifer – damit ist die Hamas und Putin gemeint – fühlen sich weiterhin stark genug, um die Kämpfe fortzusetzen, und hoffen weiterhin auf einen Siegfrieden, in dem sie die „Friedensbedingungen“ diktieren. Dabei nehmen sie keinerlei Rücksicht auf die zahlreichen zivilen Opfer, weder auf die fremden noch auf die eigenen. Insofern sind sich die palästinensische Hamas und die russischen Staatsterroristen sehr ähnlich. Menschenleben zählen ob der angestrebten militärischen und politischen Ziele nicht. Angesichts dieser blanken terroristischen Gewalt, die uns in Europa, gerade aber auch in Deutschland, immer näher rückt, ist man geradezu sprachlos, fühlt sich wie gelähmt. Aber ist man auch wehrlos?

Man ist es nicht. Die Europäische Union und gerade die Bundesrepublik haben trotz aller Herausforderungen noch immer das Potential, mit den „postdemokratischen“ Herausforderungen fertig zu werden. Dazu müssen sie sich aber ehrlich machen und sich eingestehen, dass man in mancherlei Hinsicht auf dem Holzweg war. Die Bundesrepublik könnte da als „Vorbild“ dienen. Immerhin ist es seit der Zeitenwendenrede des Bundeskanzlers zu einer entschiedenen Abkehr von der bis dato verhängnisvollen Energie– und -Russlandpolitik gekommen. Nach langem Zaudern und großen Bedenken ist die BRD mittlerweile einer der zuverlässigsten Partner der weiterhin existenziell bedrohten Ukraine.

Auch die Notwendigkeit einer fundamentalen Verbesserung im Hinblick auf die Verteidigungsfähigkeit der BRD im Rahmen von NATO und EU wird von Boris Pistorius energisch vorangetrieben. Seine für Aufsehen sorgende Äußerung, dass Deutschland „kriegstüchtig“ werden müsse, ist als Aufforderung zu verstehen, sich den brutalen Realitäten einer durchaus nicht imaginären, sondern sehr realen Bedrohung zu stellen. Dies wird innerhalb der deutschen Gesellschaft auf einen Mentalitätswechsel hinauslaufen müssen. Und darauf sollte sich auch die politische Bildung in der Bundesrepublik mit entsprechenden Angeboten stärker einstellen als dies bisher der Fall war.

Fragen der inneren und der äußeren Sicherheit wurden im GESW in den letzten Jahrzehnten immer intensiv diskutiert. Der russische Überfall auf die Ukraine (2014) und die Flüchtlingskrise (2015) gaben dazu vermehrten Anlass. Dramatisch verschärft hat sich die Lage durch den russischen Überfall auf die Ukraine (2022) und den Terrorabgriff der Hamas auf Israel, der sich zu einem gefährlichen Flächenbrand ausweiten könnte.

Die Tatsache, dass Robert Habeck in seiner kürzlich aufgezeichneten „Kanzlerrede“ die deutsche Verantwortung für Israel in klaren Worten benannte und auf die Pflichten deutscher Staatsbürger hinwies, war wichtig, aber auch überfällig. Angesichts eines schon seit langem schwelenden und in Teilen der Gesellschaft bewusst geschürten Judenhasses, egal ob von rechts oder links, ob deutschen Ursprungs oder importiert, ist die aufgrund der jüngsten islamistischen Provokationen von Habeck angekündigte „harte Hand“ nur allzu berechtigt: „Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen. Wer kein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinen Aufenthaltstitel hat, liefert einen Grund abgeschoben zu werden.“

Außer der Ankündigung, mit juristischen Maßnahmen gegen Volksverhetzung und Antisemitismus vorzugehen, bedarf es aber gerade in Deutschland einer Intensivierung eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses, der nicht – wie leider allzu oft – von Hass, Intoleranz, Ausgrenzung und meinungsbildenden Verschwörungstheorien bestimmt wird. Der historischen und politischen Bildung an Schulen und außerschulischen Institutionen fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie sollte in weitaus höherem Maße als bisher das Ziel einer wehrhaften Demokratie und eines wehrhaften Verfassungspatriotismus in einer faktisch multikulturellen Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen.

Dass sich Schulen und außerschulische Lernorte im Hinblick auf einen gewaltfreien Diskurs, bei dem Fakten und Argumente zählen, dabei gut ergänzen und gegenseitig entlasten können, beweist die Praxis, in der zur gewaltfreien, aber entschiedenen Abwehr von Sprach- und Wehrlosigkeit ermuntert wird.