[mg] Die Kontroverse um die Würdigung des Altkanzlers Helmut Kohl in einem Staatsakt – einem europäischen, der stattgefunden hat und auch einem deutschen, der nicht hat stattfinden dürfen – bestimmt die Medien noch, nachdem sein Tod bereits einige Wochen her ist. Dabei spiegeln sich durchaus auch die gespaltenen Meinungen zu Kohl wider, die seine Abgründe und seine Glanzleistungen gleichermaßen thematisieren. Im #aufgeschnappt beleuchten wir heute einige persönliche Erinnerungen. Immerhin hat Kohl in seiner Amtszeit und darüber hinaus fraglos Geschichte geschrieben. So werden nun individuelle Perspektiven auf seine Kanzlerschaft zu wichtigen Zeitzeugnissen.
Ich bin 1982 geboren.
Wir dachten ja recht lange, Bundeskanzlerhelmutkohl sei ein Wort.— MsVerstaendlich (@MsVerstaendlich) 16. Juni 2017
Für Kinder der 1970er und 1980er Jahre in der Bundesrepublik war die Kanzlerschaft Kohls zumeist ein unumstößliches Faktum. Die Erinnerung von Moritz Rinke im tagesspiegel zeigt auf, wie Kohl für Kinder aus politisch eher links orientierten Familien als Inbegriff konservativer Spießigkeit wahrgenommen wurde. Gleichzeitig hat seine Allgegenwart eine ganze Generation so stark geprägt, dass die emotionale Reaktion auf seinen Tod deutlich vielschichtiger ist, als man annehmen könnte.
Wenn sich Menschen aus der ehemaligen DDR an Kohl erinnern, so ist dieser Prozess stärker als im Westen mit dem Ende der deutschen Teilung verknüpft. In der kollektiven Erinnerung schrumpft die Zeit zwischen November 1989 und dem 3. Oktober 1990 manchmal auf ein Minimum zusammen, Mauerfall und Wiederverinigung verschmelzen im Resultat des geeinten Deutschlands. Dass dieses Jahr unterschiedlichste Etappen eines komplexen Transformationsprozesses beinhaltete, wird dabei mitunter übersehen. Für Biographien aus dem Osten Deutschlands ist eine solche Reduktion unmöglich. „Ich wollte Freiheit und bekamt Kohl“, so heißt die Erinnerung von Holger Dambeck im Spiegel. Trotz seiner kritischen Perspektive auf den „Kanzler der Einheit“ erkennt der Autor die Leistungen im Zuge der Wiederverinigung an. Komplementär liest sich die Erinnerung von Dorothea Grass in der Süddeutschen Zeitung, für die die Einheit als oberstes Ziel schon früh, als Kind, nur mit Helmut Kohl vorstellbar erschien.
Die Nachrufe auf Helmut Kohl im Rahmen der Trauerfeierlichkeiten von Bill Clinton, Angela Merkel, Emmanuel Macron und anderen Politikern stellen natürlich auch Erinnerungen vor, die die Person Kohl im Kontext deutscher, europäischer und globaler Geschichte würdigen. Eine besondere Erinnerung aus der Sphäre der Politik liegt indessen von Henry Kissinger, dem ehemaligen amerikanischen Außenminister vor. In seinem Text wird Kohls Persönlichkeit als Grundlage für seine politischen Erfolge begriffen. Zu diesen zähle eben nicht nur die Wiederverinigung, sondern auch der Einsatz für Europa und eine „auf Freiheit und Menschenwürde gegründeten internationalen Ordnung“. Dass in diesem Zusammenhang allzu selten auch von Kohls Verdiensten um die Verständigung von Ost und West nach dem Ende des Kalten Krieges die Rede ist, zeigt Christoph von Marschall im Tagesspiegel auf.